Home - Bildung - Es geht voran. Eine Reise durch die Universität Hamburg


 

Ulrich Greiner

Es geht voran. Es geht
Ende des Semesters, aber kein Ende des Elends der Universitäten? Eine Reise durch die Stimmungslandschaft der Hamburger Universität in 10 Stationen

1 . Friedliche Wiese

Die fürchterlichen Fallwinde, die sich sonst vom Philosophenturm herabstürzen und den Professoren die Manuskripte entreißen, schweigen an diesem Tag. In aller Stille verteilen Studenten vor dem Audimax der Hamburger Universität ihre Flugblätter. Sie werben für die jetzt beginnende Vollversammlung. Die Themen: "Studiengebühren, Bafög-Verzinsung, Zwangsberatung". Es ist heiß, fast schwül. Das große sechseckige Bassin, eingemauert von Waschbetonbänken, ist umlagert von Studenten, die in die Sonne blinzeln. Das Wasser ist trübe, ein paar Cola-Dosen schwimmen darin, ein Pappkarton. Kaum einer in Hamburg kann sich erinnern, je die Fontäne gesehen zu haben. Zuständig für den Campus ist das Bezirksamt Eimsbüttel. Dort fehlt es, wie überall in der Stadt, an Geld und Gärtnern. Unkraut gedeiht üppig in den Ritzen und mildert die starre, kalte Architektur der Anlage.

Drinnen im Audimax hat Alex vom Asta die anstehende Resolution begründet. Studiengebühren, sagt er, dienen nur dazu, die leeren Staatskassen aufzufüllen, ohne daß die Uni und die Studenten etwas davon hätten. Und was soll der Quatsch mit der Zwangsberatung, mit der die Studiendauer verkürzt werden soll? "Wir würden ja gerne schneller studieren, wenn wir nicht dauernd warten müßten: auf Seminarplätze, Sprechstunden, Prüfungstermine, Bücher." Heftiger Beifall. Katharina, die Moderatorin, ist sichtbar bemüht, die Sache rasch über die Bühne zu bringen. Zwar sind an die fünfhundert Studenten im Saal, aber schon nach einer halben Stunde drängt es die ersten zur Sonne, ins Freie. Ein paar Redner sind noch auf der Liste. Die Juristin Meike riskiert die Bemerkung, daß die Forderungen unrealistisch und unpolitisch seien: "Man kann nicht pauschal sagen, es darf nirgends gekürzt werden." Allgemeines Mißfallen. Michael, der Romanist, klagt: "Wir sind in der gesellschaftlichen Defensive. Wir erreichen niemanden mehr. Draußen liegen sie in der Sonne. Ich bin's leid." Zwischenruf vom Asta-Podium: "Beim letztenmal waren es nur hundert."

Die Universität Hamburg hat 45000 Studenten. Siebzig Prozent davon, sagt man, arbeiten nebenher, um ihr Studium zu finanzieren, zwanzig Prozent haben eine Familie. Michaels Klage hätte sich etwa so beantworten lassen: 31500 sind jetzt gerade am Jobben, 9000 versorgen ihre Babys, 3500 sitzen in den eben stattfindenden Seminaren und Vorlesungen, 500 liegen auf der Wiese, und der Rest ist in der Vollversammlung. Mehr ist nicht drin.

2. Ruinierter Teppich

Der Politikwissenschaftler Udo Bermbach, seit 1971 Professor in Hamburg, Fachgebiet politische Ideengeschichte und politische Theorie, deutet mit heiterem Hohn auf den Teppich seines Dienstzimmers: ein Wrack. Durch das hohe Fenster, das hinaus auf den Allende-Platz geht, fließt helles Sommerlicht und versickert spurlos im abgewetzten, düsteren Mobiliar. Der Wissensstand der Studenten, sagt Bermbach, sei katastrophal. "Nur zehn Prozent sind wirklich interessiert, mit denen kann man arbeiten, sechzig Prozent sind studierunfähig und gehören nicht auf die Universität." Macht er ein Seminar über den "Leviathan" von Hobbes, dann haben von 25 Teilnehmern drei oder vier das Buch gelesen. Verlangt er eine Aufnahmeklausur zur Erzwingung der Lektüre, funkt ihm der Fachbereichsrat dazwischen. Will er den einzigen hochbegabten Studenten an seine Seite holen, fordert der Institutsrat, eine Frau müsse her. Schlägt er die Versetzung einer unfähigen Sekretärin vor, legt der Personalrat sein Veto ein.

Weshalb macht er sich derart vom Urteil anderer abhängig? "Die Öffentlichkeit hält uns für den letzten Dreck. Das ruiniert auf die Dauer jedes Selbstbewußtsein. Wenn Jahr für Jahr die Studienplätze vermehrt, die Mittel und Stellen gekürzt, die Entscheidungsbefugnisse eingeschränkt werden, wenn alles in den Gremien nivelliert und zerredet wird, alles im Filz aus SPD und GEW erstickt, verliert man die Lust."

Bermbach, ein melancholischer Riese mit machtvoller Eloquenz, gerät in Fahrt. Daß endlich einer von draußen zuhört! Die Universtät, so groß und zersplittert sie auch sein mag, ist das ewige Drinnen. Die Selbstverwaltung, sagt er, sei gescheitert. Jahrelang habe er sich in den Gremien abgemüht, zerschlissen. Wissenschaft lasse sich eben nicht demokratisieren. So wie er, werfe ich dazwischen, habe früher der Bund Freiheit der Wissenschaft argumentiert. "Die Konservativen hatten recht. Die Institution Universität kann sich nicht mehr selber reformieren, die Reform muß von außen kommen."

Bermbach lehnt sich zurück und blickt den Kollegen Michael Greven herausfordernd an. Dem ist unbehaglich zumute. Die Philippika Bermbachs zu unterbrechen, hat er mehrmals versucht. Jetzt lächelt er entschuldigend, als wollte er sagen: So ist er eben, der gute Bermbach. Greven sieht das alles etwas entspannter. Er ist noch neu hier und derzeit geschäftsführender Direktor der Politologen. Er hat sich allerlei vorgenommen. Nichts ist verloren, und die Studenten – man muß sie nur verstehen und mit ihnen arbeiten.

3. Lob der Arbeit

Das Zimmer von Professor Hermann Korte, Direktor der Soziologen, ist frisch renoviert, das Mobiliar neu und zweckmäßig. Stolz zeigt er auf mannshoch gestapelte Kartons: "Der gesamte Nachlaß von Norbert Elias, in Kopie natürlich, da ist noch einiges drin." Er nimmt das Telephon und trägt es hinaus ins Vorzimmer. "Es gibt hier an der Uni keine Nebenstellenanlagen, das gilt als undemokratisch, chefmäßig." Der Universitätspräsident Lüthje besitze eine solche Anlage nur, weil er sie sich selber gekauft habe.

"Das Selbstverständnis der Professoren", sagt Korte und gießt uns Kaffee ein, "hat sich seit den Zeiten der Ordinarien-Universität nicht wirklich geändert. Viele glauben, daß sie eigentlich alles dürfen, und sie jammern, daß der Staat die Mittel kürzt, daß alles keinen Zweck mehr hat. Denen sage ich: Guckt euch doch mal an, wie viel ihr verdient, zehn- bis zwölftausend Mark plus Weihnachtsgeld, hängt mal eure Gehaltslisten aus. Ihr werdet nicht dafür bezahlt, daß ihr einen Lebensentwurf durchhaltet, sondern dafür, daß ihr euch auf veränderte Bedingungen einstellt, daß ihr richtig arbeitet und nicht nur an ein oder zwei Tagen in der Woche hier seid." Die Studenten müsse man fordern, das sei klar, dann kriegten sie auch Spaß an der Sache. "Man muß mit ihnen reden, sie korrigieren, aber das macht natürlich Arbeit. Da war zum Beispiel eine Studentin, der haben wir die Hausarbeit zweimal zurückgegeben, heute ist sie eine der Besten." Korte, vielleicht Mitte fünfzig, platzt vor Energie. Man kann ja doch vieles machen. Jetzt gibt es den globalen Haushalt. Ein furchtbares Wort, eine gute Sache. Der Staat teilt der Universität das Geld zu und läßt sie im wesentlichen selber bestimmen, was sie damit tut. Der Haken dabei ist, daß er auf die Idee erst verfiel, als es darum ging, Geld zu sparen. Der Verteilungs- und Kürzungskrieg findet nun innerhalb der Universität statt. Das bedeutet eine Aufwertung der Gremien. Greven hat darüber in der Zeitschrift vorgänge (März 1996) ein ambivalentes Urteil abgegeben. Korte kennt den Aufsatz und stimmt zu. Trotzdem: Jetzt kann das Institut bestimmen, ob es lieber Bücher anschafft oder einen Kopierer, lieber an Dienstreisen spart oder an Zeitschriften. Zum erstenmal verteilt der Fachbereich das Geld nach Leistungskriterien. Zunächst nur zehn Prozent, aber das wird sich steigern.

Der Gewinn an Freiheit lockt natürlich nur denjenigen, der noch etwas bewegen will. "Wir kommen aus dem Schlamassel nur heraus, wenn wir Professoren die Sache selber in der Hand nehmen. Ich lasse mich doch nicht unterkriegen!" Es gebe allerdings zwei Handicaps. Das eine ist die Bürokratie. "Die Hamburger Verwaltung, unglaublich!" schreit Korte vor Zorn und Vergnügen und erzählt, wie lange es dauert, eine Assistentin einzustellen. "Stellen Sie sich vor, da gibt es Dienststellen, die sehen aus wie in einem Film mit Theo Lingen. Die haben jetzt Computer angeschafft, jetzt erst!"

Das zweite Handicap ist die berüchtigte Überleitung. Damals, in den siebziger Jahren, wurde der sogenannte Mittelbau weitgehend abgeschafft und in den Professorenstand erhoben. Nun waren zwar alle gleich, aber die einen hatten Sach- und Personalmittel, die andern gar nichts, die einen verdienten viel, die andern wenig. Solide Feindschaften entstanden. Und die wissenschaftliche Kompetenz war äußerst unterschiedlich. "Mit der Qualifikation, die ich damals für die Ernennung zum Professor vorweisen mußte, bekäme ich heute nicht mal eine Assistentenstelle."

4. Heiße Suppe

Es ist mal wieder, obzwar fast Sommer, lausig kalt in Hamburg und der Himmel asphaltfarben. Ingo von Münch, Professor für Staatsrecht und Völkerrecht, 1987 bis 1991 als FDP-Chef Senator für Wissenschaft und Kultur sowie Zweiter Bürgermeister in der Koalitionsregierung unter Klaus von Dohnanyi, eilt (und anders als eilend kennt man ihn nicht) an meinen Tisch im "Elysée"-Hotel. Er friert. In seinem Institut geht die Heizung nicht, der Hausmeister ist in Urlaub, und draußen herrschen zwölf Grad. Er löffelt erst mal eine heiße Suppe und fragt dann sorgenvoll: "Ja, woran liegt sie, die Resignation, die Tristesse?" Die Universität sei heruntergekommen, die Ausstattung desaströs, die über die Stadt hinaus bekannten Stars könne man an den Fingern einer Hand abzählen. Nie werde an der Verwaltung gespart, immer nur am Lehrbetrieb. "Diese Stadt hat kein Verhältnis zu ihrer Universität. Dohnanyi hat sie nicht gemocht, Voscherau meidet sie, wo er nur kann." Natürlich kommt Ingo von Münch auf sein Lieblingsthema, den SPD-Mief. Die totale innere Sozialdemokratisierung hat zur Abwehr von Leistung und Elite geführt. Aber was ist eine Universität, wenn nicht Elite? "Halten Sie das für möglich: Als die 75-Jahr-Feier bevorstand, wollten die das zusammen mit der Volkshochschule feiern. Mit der Volkshochschule!" Ingo von Münchs berühmte Falsettstimme kräht vor Empörung.

5. Rettung durch Not

Der Amtssitz des Präsidenten befindet sich im alten Universitätsgebäude. Es liegt etwas verloren auf halber Strecke zwischen dem Campus und dem Dammtorbahnhof. Zu den Hamburger Eigenheiten gehört, daß die Universität keinen Anschluß an die U-Bahn oder S-Bahn hat. Über dem Eingang des Kuppelbaus, der vor allem die Verwaltung beherbergt, steht die gemeißelte Inschrift "Der Forschung / Der Lehre / Der Bildung".

Weshalb ist das Selbstbewußtsein der Professoren so gering? Jürgen Lüthje lächelt. "Schwierige Frage. Man hat ihnen die Talare genommen. Das Selbstbild der 68er war egalitär, sie wollten mit den Studenten von gleich zu gleich verkehren. Nun herrscht ein gespaltenes Selbstbewußtsein. Auf das eigene Fach und die eigene Leistung ist man stolz, nicht aber auf die Universität. Ihr anzugehören hat keinen Glanz mehr." Auch für die Studenten, sagt Lüthje, sei das Studium nicht unbedingt etwas Besonderes. "Wenn dreißig Prozent eines Jahrgangs die Fachhochschule oder Universität besuchen, ist das Studium fast schon der Normalfall der Ausbildung." Und wenn die meisten nebenher jobben müssen, verändert sich das Bild. Das Studium ist nicht mehr Zentrum des Lebens. Die Studenten werden zu Passanten, die teilzeitweise das Dienstleistungsunternehmen Universität aufsuchen.

Lüthje, gekleidet in dunkelblaues Tuch mit weißem Hemd und rötlichem Schlips, redet wie ein Politiker: vorsichtig. Er kennt seine Sache und weiß, wie er sie am besten betreibt: unauffällig und zäh zwischen den Klippen hindurch. In diesen Zeiten nicht zu stranden ist fast schon ein Triumph. "Die finanzielle Ausstattung der Hochschulen hat sich in den letzten zwanzig Jahren, bezogen auf die Ausbildungsleistung, um mindestens fünfzig Prozent verschlechtert." In den nächsten acht bis zehn Jahren muß jede zweite frei werdende Stelle gestrichen werden. "Der Staat betreibt eine Brüning-Politik." Am Ende werde die Universität 9000 Studenten weniger haben. Lüthjes Antwort auf dieses Desaster ist eine Art Galgenoptimismus. Zugleich sieht er die Krise von ihrer Gegenseite: als Chance der Erneuerung. Wann, wenn nicht jetzt in der Not, wäre etwas zu bewegen? Lüthjes Problem besteht darin, daß seine Reformideen alles andere als popularisierbar sind. Aus ihm spricht nicht der Visionär, sondern der Technokrat. Und dem liegt eines am Herzen: Steigerung der Effizienz.

Das Wort dafür heißt Evaluierung, und die geschieht auf dreierlei Weise. Erstens sollen die Studenten die Qualität der Lehre bewerten. Es gibt ein vom Präsidenten gefördertes studentisches Evaluierungsbüro. Zweitens bewerten die Fachbereiche ihre eigene Arbeit. In den Literaturwissenschaften hat dies zu ersten bescheidenen Reformen geführt. Drittens aber hat Lüthje eine auswärtige Strukturkommission eingesetzt, der hochmögende Wissenschaftler anderer Universitäten angehören. Sie werden im November ein Gutachten vorlegen. Das Ziel: Einsparung einer Summe, die sich um die dreißig Millionen bewegt. "Evaluierung" ist unter solchen Umständen ein Euphemismus. Vielleicht wird man Institute, ganze Fächer stillegen müssen. Es wird Ärger geben. Lüthjes Strategie lautet: Export der Konflikte in Kommissionen.

Wie geht es denn so mit der SPD? Wie bei jeder schwierigen Frage lächelt Lüthje: "Die SPD ist antielitär. Sie ist unfähig zum Dialog."

6. Rhabarberkuchen

Wolfgang Marx ist ein Freund von Rhabarberkuchen, und weil Geduld seine Stärke ist, wartet er, bis der Thalia-Kellner endlich damit kommt. Marx ist dreißig Jahre alt, Briefmarkenhändler in Wilhelmsburg und seit einem dreiviertel Jahr wissenschaftspolitischer Sprecher der SPD. Außerdem studiert er Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Seine Telephonnummer stand auf den Flugblättern, zusammen mit dem Aufruf, die Studenten sollten sich bei ihm über die Zwangsberatung beschweren. Es kamen aber, so Marx, dem der Kuchen mundet, keine Beschwerden, sondern nur positive Anrufe. Von Zwangsexmatrikulation sei keine Rede, sondern lediglich davon, jene Studenten zu einem Beratungsgespräch zu veranlassen, die nach der festgesetzten Studienzeit noch keinen Abschluß hätten. In Berlin habe man damit gute Erfahrungen gemacht.

Das Hauptproblem ist die Haushaltskrise der Stadt. Marx weiß: "Effizienzsteigerung und Mittelkürzung - das ist keine klassische SPD-Situation." Einen anderen Weg sieht er nicht. Die Kapazität der Uni sei keineswegs ausgelastet. "Gehen Sie doch mal Montag vormittag oder Freitag nachmittag hin: alles leer." Notfalls müsse man das Lehrdeputat erhöhen. Die Universität scheint für den mitleidlosen Marx das Klageweib, dem man auf die Schliche kommen muß.

Wie ist das Verhältnis zwischen Hamburg und seiner Universität? "Die Uni stört in der Stadt niemanden." Und die SPD? "Der Senator ist verhaßter, als seine Politik schlecht ist. Lüthje und Hajen spielen beide über Bande." Soll wohl heißen: Sie reden nicht miteinander. Und was den alten Filz zwischen linker Professorenschaft und SPD angehe: dessen Wirkung lasse nach, da es nichts mehr zu verteilen gebe.

7. Die Hintertür des Senators

"Diese Geisteswissenschaftler", sagt der Senator, "wollen immerzu geliebt werden. Sie greinen vor sich hin. Der alte Hang zur Melancholie. Die sollten lieber danach trachten, daß ihre Wissenschaft wahrnehmbar ist."

Professor Leonhard Hajen ist das Gejammer leid. Die Stadt habe nichts für die Universität übrig? Ihm fällt eine Millionensumme nach der anderen ein, die er locker gemacht hat. Und wie ist sein Verhältnis zu Lüthje? "Es ist kein Geheimnis, daß wir menschlich und sachlich Differenzen haben." Ein Unterschied: Der Präsident wehrt politische Einflußnahme ab, der Senator will politisch gestalten. Die Ausdehnung der Technischen Hochschule und die Verkleinerung der Universität: Das ist sein Ziel, daran läßt er keinen Zweifel. "Der globalisierte Haushalt ist ein Vertrauensvorschuß. Die Universität soll selber bestimmen, was sie mit dem Geld macht. Aber dann komme ich zur Hintertür wieder herein und frage: Was habt ihr damit bewirkt? Dezentralisierung ja, aber auch Controlling. Nur beides geht." Hajen ist Ökonom, Subtilitäten und Sentimentalitäten sind seine Sache nicht. Drei Tage Haushaltsberatungen liegen hinter ihm. Er wirkt alles in allem gut gelaunt.

8. Krise macht lebendig

Der Teppich im Zimmer von Professor Knut Hickethier ist neu. "Den habe ich mir selbst gekauft. Der Laptop da drüben gehört mir, und einen Anrufbeantworter will ich mir auch noch anschaffen. Warum denn nicht? Wir verdienen ja nicht schlecht. Sie sollten sich mal das Zimmer von Professor Rodenberg bei den Anglisten angucken. Prachtvoll. Das hat er eigenhändig renoviert." Ist das die neue Beweglichkeit?

Hickethier, Jahrgang 1945, hat erst seit zwei Jahren diese Professur für Film- und Medienwissenschaft. Früher war er Kunsterzieher, Journalist, mal an der Uni, mal frei, ihn kann so leicht nichts erschüttern. Jetzt ist er Direktor der Germanisten. "Ich fand ein verfeindetes Institut vor." Allmählich geht es besser. Die Älteren, noch ideologisch befangen, ziehen sich zurück. Man redet wieder miteinander. Die Evaluierung 1994 hat mitgeholfen, den Lehrplan zu reformieren und die Standards anzuheben. Es gibt wieder Klausuren. Leistungsscheine werden nur noch für schriftliche Arbeiten vergeben. Fast alle beteiligen sich an der gemeinsamen Vorlesung zur Einführung ins Studium, was den Effekt hat, daß die Kollegen einander bei der Lehre zuschauen. Und neuerdings hat man verabredet, auch montags zu lehren.

Hickethier gibt freimütig zu, daß all diese kleinen Schritte ohne äußeren Druck kaum passiert wären. "Nur in der Krise wird umgebaut. Jede Kürzung erfordert Neuorganisation und erhöhte Beweglichkeit. Aber es gibt eine Grenze." Wir blicken zum Fenster hinaus. Unten liegt der Campus, an dem die Wege und Schicksale sich kreuzen: Links die Juristen, gegenüber die Bibliothek, rechts die Wirtschaftsleute, daneben die Sozialwissenschaftler, und in der Mitte die Mensa und das Audimax. "Der Campus ist ideal", sagt Hickethier, "hier trifft man sich."

9. Der verramschte Nachwuchs

Der Schwanitz hat völlig recht. Na ja, der Schwanitz, er übertreibt furchtbar. In jedem Gespräch kommt die Rede auf den Schwanitz. Der Schwanitz, das ist der Roman Campus, 1995 erschienen, Auflage hunderttausend. Schauplatz ist die Universität Hamburg. "Die Figuren sind frei erfunden", wie es heißt, aber jeder (und an der Uni Hamburg hat jeder das Buch gelesen) erkennt in den boshaft gezeichneten Figuren den jeweiligen Feind. Das Justemilieu aus linkem Besitzstandsdenken und Political Correctness, die Herrschaft aus Mittelmaß und Wahn, die Hamburger Spezialitäten aus Provinzpresse und SPD-Monokultur: Das ist der Stoff, aus dem Campus viele gute und manche flaue Witze schlägt.

Professor Dietrich Schwanitz, Anglist im zweiten Stock des Philosophenturms, die schmale Nur-Glas-Lesebrille gefährlich vorne auf der Nasenspitze, liebt sarkastische Fremdwortkaskaden, die schneller stürzen, als ich schreiben kann. Wir plaudern über 68 und die Folgen. Über das Faul- und Altwerden der Reform, den Verfall der Standards. Über die Reaktionen auf seinen Roman. Feministinnen zertrümmerten ein Bücherschaufenster mit Schwanitz-Büchern. Er schmunzelt erinnerungsselig.

Ist das nicht vergangene Zeit? "Ja", sagt Schwanitz und spricht eine Spur langsamer, "etwas Neues beginnt, aber was es ist, das ist schwer zu sagen." Seit Jahren zum Beispiel macht er denselben Einführungskurs ins Studium der Anglistik. Und plötzlich sieht er, daß die Studenten wißbegieriger werden. "Die Standards ziehen wieder an." Warum? "Früher waren die Studenten lasch und luschig, der narzißtische Selbsterfahrungs- und Selbstverwirklichungstyp war vorherrschend. Heute kehrt das Bedürfnis nach Formen zurück, es entstehen neue Wertmaßstäbe, vermutlich orientiert an Fragen des Lifystyles, vielleicht aus unbewußter Ablehnung des anything goes."

Das Spannende aber ist, daß die Begründungslasten sich verschieben. "Vor Jahren noch mußte ein jeder, der nicht egalitär dachte und auf Leistung bestand, Gründe angeben und sich verteidigen. Heute ist es umgekehrt." Dieses geistige Pendel hat der Zusammenbruch des Sozialismus in Gang gesetzt. Schwanitz hält es für bezeichnend, daß ihn keiner der Intellektuellen vorausgesehen hat. Blindheit ideologischen Wohlbefindens. Und natürlich gelte das Grundgesetz: Was lange währt, wird langweilig. Also komme das Verpönte wieder: der Elite-Gedanke.

Die Universität ist dabei, sich zu verändern. Aber Schwanitz setzt nicht auf die Evaluierung, sondern auf die biologische Lösung: "die Pensionierungswelle Anfang des nächsten Jahrtausends". Der Tatsache, daß sie ihn selber trifft, sieht er lächelnd ins Auge. Eine neue Generation muß her. "Die Überleitung war die Erbsünde der Bildungspolitik. Der Nachwuchs wurde verramscht. Wir haben hier vierzehn Professoren und zwei Assistenten. Wir Älteren kriegen keinen Innovationsdruck von nachwachsenden Wissenschaftlern."

10. Das Leben geht weiter

Die Asta-Studenten treiben Manöverkritik. Die Resolution wird nicht viel bewirken, das ist klar. Die Uni ist zu groß, im Grunde unregierbar. Gerade das findet Katharina gut: daß nichts zusammenpaßt, alles "abbröckelt" und im Widerstreit mit sich selber liegt. Das ist Chaos, Leben. Wir sitzen in der Sonne vorm Abaton-Kino. Es ist eines der Zentren studentischen Lebens, und es befindet sich mitten im alten Judenviertel. Gegenüber stand die Synagoge, an die erst neuerdings ein Platz erinnert. Sein Pflaster zeichnet den Grundriß des Gebäudes nach. Der Antifaschismus der 68er brauchte geraume Zeit, um zu erkennen, auf welchem Boden er sich befand.

Heute sind die 68er eine andere Last der Vergangenheit. Alex: "Damals wurde doch gesagt, wer Professor werden will, trete einen Schritt vor, und wer nicht einen Schritt zurücktrat, wurde Professor." Seine Generation muß es ausbaden. Keine Stelle, nirgends. Er trägt es mit Fassung. Was wäre die Alternative? Karin, die Lehrerstudentin, hat die Alternative fest im Blick. Jetzt ist sie noch ein Jahr im Asta, dann studiert sie weiter, macht die zwei Examen, und schließlich dürfte der Zeitpunkt näher kommen, da die ersten alt gewordenen 68er ein paar Stellen frei machen. Seltsame Ironie, daß die Reformgeneration an ihren eigenen Reformen erstickt und erst ihr mähliches Ausscheiden und Absterben neue Hoffnung begründet.

Erschienen in der ZEIT vom 28.6.1996

 

 


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