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Ulrich Greiner

Konfektionsprosa

Martin Suters erstaunlich gelobte Romane sind erstaunlich schlecht geschrieben

Martin Suter ist ein seltener Fall. Mit seinen bislang sieben Romanen hat der Schweizer Autor nicht nur ein Millionenpublikum gewonnen, sondern mehr und mehr auch die Gunst des Feuilletons, das Bestsellern bekanntlich nicht immer gewogen ist. Wenn der Spiegel vor Jahren behauptete, Suter werde von der Kritik grob unterschätzt, so trifft das nicht mehr zu. Wohlwollende bis begeisterte Betrachtungen seines Werks füllen die Spalten seriöser Blätter, leider auch der ZEIT. Das ist deshalb erstaunlich, weil Suter gar kein Schriftsteller ist – wenn man darunter jemanden versteht, der die Kunst sprachlicher Aneignung und Durchdringung beherrscht. Kurz gesagt: Suter kann nicht schreiben.

Beispielhaft steht dafür sein eben erschienener achter Roman Allmen und die Libellen, der offenbar den ersten Teil einer Krimiserie bilden soll. Der Lebemann, Kunstsammler und Hochstapler Allmen ist finanziell am Ende und rettet sich durch den Diebstahl wertvoller Jugendstil-Objekte, die ihrerseits die Hauptrolle in einem Versicherungsbetrug spielen. Dessen Hergang wird von Allmen eher zufällig aufgedeckt, am unwahrscheinlichen Ende jedenfalls kommt er in den Genuss der Versicherungssumme. Die durchaus komplizierte Geschichte soll uns nicht weiter beschäftigen. Werfen wir stattdessen einen Blick auf Suters Handwerk.

Wir schildert Suter seine Personen? Auf den ersten Seiten begegnen wir dem Helden, wie er in seinem Stammcafé sitzt und Zeitung liest: „Er trug einen mausgrauen, auch in dieser zusammengesunkenen Stellung noch annehmbar sitzenden Anzug, eine schmale, kleingemusterte Krawatte und ein eierschalenfarbenes Hemd mit weichem, kleinem Kragen. Er mochte etwas über vierzig sein. Sein gutgeschnittenes Gesicht hätte eine etwas weniger platte Nase verdient.“ Man erkennt im letzten Satz die freundliche Ironie, mit der Suter seine Geschichten gerne ein wenig würzt, fragt sich aber doch, ob die „zusammengesunkene Stellung“ eine glückliche Formulierung ist. Man fragt sich auch, ob dieser Gentleman, dessen exquisiter Geschmack in Kleidungsfragen immerzu beschworen wird, durch eine Konfektionsprosa hinreichend beschrieben ist.

Einige Seiten später jedenfalls – Allmen besucht an einem „nassen Herbstabend“ die Oper, begleitet von einer Dame – wird uns seine Kleidung erneut beschrieben: „Er trug einen etwas herbstlichen dunklen Anzug von seinem seit langem vernachlässigten englischen Schneider und eine nachtblaue kaum gemusterte Krawatte unter einem navyblauen Kaschmirmantel von dessen ebenfalls entfremdeten römischen Berufskollegen.“ Es wird nicht ganz klar, wer da vom wem entfremdet ist, jedenfalls scheint es sich ebenfalls um einen Schneider zu handeln.

Wie nun sieht die Dame an Allmens Seite aus? „Sie trug einen wadenlangen grünen Nerz, einen platinblonden Pagenschnitt, kirschroten Lippenstift und eine schwarze Sonnenbrille.“ An dem Lippenstift wird sie nicht allzu schwer getragen haben, wohl aber trägt sie schwer an einer ebenso plötzlichen wie unerwarteten Neigung zu ihrem Nachbarn, die sich wie folgt Bahn schafft: „Bereits während der Ouvertüre lag ihre Hand auf Allmens Oberschenkel. Beim ersten Akt war sie in seinem Schritt angekommen.“ So kann es gehen, sogar in Zürich.

An der Darstellung des Erotischen sind schon Größere gescheitert, aber die Beschreibung eines Antiquitätenladens sollte immerhin machbar sein. Etwa so: „Der Ausstellungs- und Verkaufsraum des Ladens war eingefasst von Einbauvitrinen, die zur ursprünglichen Einrichtung gehörten. Die Objekte darin waren beleuchtet von beweglichen Spots, die an einer Stromschiene an der Decke angebracht waren.“ Dass Strahler beweglich sind, ist nicht eben selten; dass sie in einer Stromschiene an der Decke angebracht sind, eigentlich die Regel. Weshalb erzählt Suter uns das? Weil er gerne Dinge erzählt, die ihm nebenher einfallen und nichts zur Sache beitragen. Von dem Besitzer des Ladens heißt es: „Seitdem seine langjährige Mitarbeiterin, Frau Freitag, in Pension gegangen war, führte er das Geschäft allein.“ Es ist das erste- und zugleich letztemal, dass Frau Freitag erwähnt wird. Wir wissen nichts von ihr und hoffen, dass sie keinen kirschroten Lippenstift trägt.

Es gibt Intercity-Züge mit Neigetechnik und solche ohne, und man kann sich den Unterschied zunutze machen, wenn beispielsweise ein Neigetechnik-Zug dem Helden Übelkeit verursacht. „Der Intercity mit Neigetechnik fuhr durch die nebelverhangenen Weinberge des Neuenburgersees. Allmen hatte ein Abteil für sich. Auf dem blauen Nebensitz stand ein geräumiger Pilotenkoffer aus braunem Schweinsleder.“ Allmen wird aber keineswegs übel, er führt den geplanten Kunstdiebstahl kaltblütig aus, vermutlich gestärkt durch den Anblick des braunen Schweinslederkoffers auf dem blauen Nebensitz.

Es gibt aber nicht nur diese vollkommen nichtssagenden Beschreibungssätze, sondern es gibt Sätze, die so verunglückt sind, als wären sie aus einer Fremdsprache unbeholfen ins Deutsche übertragen worden. Von Allmens Vater heißt es: „Kam dazu, dass er stolz war auf seinen studierten Sohn und auch darauf, es ihm ermöglichen zu können, dass dieser es besser hatte als er damals.“ Es ist ja in diesem Satz eigentlich nur von zwei Personen die Rede, aber sie kommen einem vor wie ein Dutzend.

Im Verlauf der etwas zähen Handlung trifft Allmen zu seiner Überraschung auf einen ehemaligen Schulkameraden, der sich als veritabler Schurke erweist: „Terry Werenbusch! War es möglich, dass er Jack Tanner auf dem Gewissen hatte? Und ihn selbst um ein Haar auch? Gewissen? Wenn es zutraf, besaß Terry Werenbusch offenbar keines.“ Was ist dieses „es“, das zutrifft, das Gewissen oder das Haar? Und was fehlte Terry Werenbusch, das Haar oder das Gewissen?

Nun gibt es bei jedem Schriftsteller Phasen des schieren Missglückens, die man allerdings durch eine Buchpublikation nicht unbedingt dokumentieren sollte. Ziehen wir zum Vergleich Suters weithin gespriesenen, im vergangenen Jahr erschienenen Roman Der Koch heran. Wie sehen hier die Leute aus? „Er war eine großer, schlaksiger Mann von etwas über vierzig mit schmalem Kopf, schütterem hellblonden Haar und hellblauen Augen. Schaeffer trug wie Dalmann Freizeitkleidung. Hellblaues Buttondown, dunkelblaue Baumwollhose und einen sorgfältig über die Schulter geschlungenen roten Kaschmirpullover. In der Hand trug er einen schweren Aktenkoffer.“

Der Koch in diesem Buch ist Tamile, und er versteht es erotisierende Gerichte zuzubereiten. Leider ist Suters Sprache von erotischer Subtilität so weit entfernt wie ein Holzfäller von Tilman Riemenschneider. Wenn sich die Tamilen treffen, geht es ja genau so zu wie bei den wackeren Schweizern: „Es war eine elegante Gesellschaft, die sich in dieser Sturmnacht zusammengefunden hatte. Makeda trug einen bodenlangen bestickten Tibeb, Sandana einen hellblauen Sari, Andrea ein tief ausgeschnittenes Abendkleid, und Maravan hatte alle mit Anzug und Krawatte überrascht.“

Menschen kann Suter also nicht. Vielleicht Natur? „Die Tannen, die den Weg säumten, waren schwer beladen mit Schnee. Ab und zu fiel etwas davon herunter. Dann rieselte es noch eine Weile weiß glitzernd vom um seine Last erleichterten Ast.“ Vom um seine Leselast erleichterten Leser rieselt etwas, das eher nicht nach Schnee aussieht.

Warum ist Suter so beliebt? Weil er für seine Bücher keine Hochsprache oder gar Literatursprache wählt, sondern die Umgangssprache, die jeder von uns tagtäglich so dahinredet. Wir erkennen uns in Suter wieder, in seinem Stolpern und Stümpern, in der strikten Vermeidung von Hypotaxen, in der einfältigen Aneinanderreihung von Hauptsätzen: »Maravan zählte die Tage bis zum Ende der Europameisterschaft. Nicht nur wegen des Jobs. Der ganze Rummel ging ihm auf die Nerven. Er interessierte sich nicht für Fußball. Schwimmen war sein Sport gewesen. Und ganz früher hatte er sich einmal für Kricket interessiert. Bevor er sich ganz dem Kochen verschrieben hatte.«

Kann sein, dass man so was in der S-Bahn lesen will. Wenn man schrecklich müde ist. Und gerade jetzt überhaupt keinen Sinn für Literatur hat. Weil, man liest am liebsten Sätze, die man schon kennt.

Marin Suter:
Allmen und die Libellen
Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2011; 194 S., 18,90 €

Erschienen in der ZEIT im Januar 2010


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