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Ulrich Greiner

Die Kritik der Kritik der Islamkritik

Der folgende Beitrag erschien in der ZEIT vom 22. Januar 2015

Nachdem die Islamkritik lange Zeit mit dem Vorwurf der „Islamophobie“ belegt wurde, scheint sie neuerdings in Maßen erlaubt. Kurz nach dem Massaker in Paris hatte der Innenminister behauptet, der Terror habe mit dem Islam nichts zu tun. Eine Woche später, in einem Interview mit der FAZ, war die Kanzlerin etwas vorsichtiger: „Die Menschen fragen, wie man dem so oft gehörten Satz noch folgen kann, dass Mörder, die sich für ihre Taten auf den Islam berufen, nichts mit dem Islam zu tun haben sollen.“ Gleichwohl wiederholte sie die Behauptung des seinerzeitigen Bundespräsidenten Wulf, der Islam gehöre zu Deutschland­ – eine missverständliche Formulierung insofern, als die Deutschen muslimischen Glaubens selbstverständlich „zu Deutschland gehören“, der Islam jedoch als eine Religion, die keinen Unterschied zwischen öffentlichem Recht und privatem Glauben macht, sicherlich nicht, jedenfalls noch nicht.

Angela Merkels Kunst, vorteilhafte Positionen gleichzeitig zu besetzen, erinnert an das Mühle-Spiel: Wer seine Steine rasch auf die richtigen Eckpunkte legt, kann mit jedem Zug einen Punkt machen. Das wird in diesem Gespräch abermals deutlich. Merkel empfiehlt der „Geistlichkeit des Islams“, die Gewaltfrage theologisch zu klären. Im Gegenzug empfiehlt sie den Christen, „noch mehr und selbstbewusst über ihre christlichen Werte zu sprechen und ihre eigenen Kenntnisse ihrer Religion zu vertiefen“. Mit der fortschreitenden Säkularisierung, so ergänzt sie, ließen die Kenntnisse über das Christentum immer mehr zu wünschen übrig. „Jeder sollte sich selbst fragen, was er zur Stärkung der eigenen Identität, zu der bei der Mehrheit immer auch noch die christliche Religion gehört, tun kann.“

Man achte auf die Wortwahl. Kurz vorher hatte sie eingeräumt: „Natürlich stehen wir auf dem Fundament der christlich-jüdischen Traditionen.“ Jetzt deutet sie zart an, dass dieses Fundament fraglich geworden ist. Sie behauptet jedoch weder, bei der Mehrheit gehöre das Christentum „immer noch“ (vielleicht alsbald nicht mehr) zur eigenen Identität, noch sagt sie, es gehöre „immer auch“ dazu (also unter vielem anderen), sondern sie sagt: „immer auch noch“.

Mit dieser Haltung vertritt die Kanzlerin ziemlich elegant jene Mehrheit, die „immer auch noch“ die Grundrechte nebenbei mitnimmt, aber kaum mehr weiß, woher sie kommen und wer sie erkämpft hat – jene Mehrheit, die sich bis vor kurzem nicht vorstellen konnte, jemandem könnten unsere köstlichen Freiheiten missfallen. Das tun sie aber. Sie missfallen einem Islam, der die Freiheit des Individuums einem archaisch-autoritären Regelwerk unterordnet.

Der alte Konflikt der beiden Kulturen, der jetzt zu neuer Glut entfacht worden ist, erregt zwei entgegengesetzte Reaktionen. Die eine neigt zum freundlichen Verstehen muslimischer Empfindlichkeiten und zu reumütiger Selbstkritik – nennen wir sie Kulturrelativismus. Die andere neigt zu einer offensiven Kritik des Islam und zur Verteidigung abendländischer Errungenschaften ­– nennen wir sie Kulturkonservatismus.

Die Kulturrelativisten folgen einer vereinfachten Version der Lessingschen Ringparabel: Die Sonne der Aufklärung strahlt in der Mitte, und die Trabanten der monotheistischen Religionen umkreisen sie in ähnlichem Abstand. Dass der Islam von dieser Sonne etwas weiter entfernt ist, führt zu der Forderung, er möge rasch die Aufklärung nachholen. Unausgesprochen verbirgt sich dahinter der Gedanke, ein aufgeklärter Islam würde ähnlich weich und kompatibel werden wie das in seine Bequemlichkeit verliebte deutsche Christentum, das den Kern der Botschaft seinen Bedürfnissen angepasst hat.

Nun kann auch der Kulturrelativist die hässlichen Seiten des Islam nicht leugnen, und deshalb beeilt er sich, sobald er auf sie zu sprechen kommt, die hässlichen des Christentums hervorzuheben, dergestalt, als wollte man jemanden, der über seinen grippalen Infekt klagt, damit trösten, dass man von dem eigenen, erst unlängst überstandenen erzählt. Die brutalen islamischen Eroberungskriege, die keinen Ungläubigen am Leben ließen – waren die Kreuzzüge viel besser? Der intellektuelle und wissenschaftliche Rückstand des Islam – verdankt die abendländische Kultur ihre Entstehung nicht auch jenen Muslimen, die das griechische Denken (Aristoteles!) ins verkümmerte Europa gebracht haben? Der Terror der Islamisten – erlebten die Christen in Zeiten der Inquisition nicht ähnlich Furchtbares?

Kaum eines dieser Fantasmen hält strenger historischer Überprüfung stand. Sie bestätigen allerdings die größte Tugend abendländischer Kultur: ihre Fähigkeit zur Selbstkritik, ihre geradezu leidenschaftliche Zerknirschunglust im Namen einer größeren Idee, des wahren Christentums zunächst und später der wahren Aufklärung. Nur so war Europa imstande, Anregungen fremder Kulturen mit räuberischer Inbrunst aufzugreifen und für den eigenen Aufstieg zu nutzen.

Die Verneigung vor dem Orient geht zurück auf das 18. Jahrhundert, als sich die Kritik an der antiauflärerischen Kirche aus dem Gegenbild eines grandiosen und toleranten Islam speiste, und fand im 19. Jahrhundert ihren vorläufigen Höhepunkt. Man erinnere sich an die Orient-Mode in Malerei und Kunsthandwerk, an die Märchen (etwa Wilhelm Hauffs Kalif Storch) oder an Goethes West-östlichen Divan. Goethe jedoch war nüchtern genug, um zu erkennen, dass die Kreuzzüge dazu beigetragen haben, die abendländische Kultur gegen die muslimischen Feldzüge zu verteidigen: „Indessen bleiben wir allen aufgeregten Wall- und Kreuzfahrern zu Dank verpflichtet, da wir ihrem religiösen Enthusiasmus, ihrem kräftigen, unermüdlichen Widerstreit gegen östliches Zudringen doch eigentlich Beschützung und Erhaltung der gebildeten europäischen Zustände schuldig geworden.“

Der Kosmopolit Goethe war kein Kulturrelativist. Einer Kirche gehörte er nicht an, aber er wusste die „gebildeten europäischen Zustände“, deren wir uns allmählich wieder bewusst werden, durchaus zu schätzen.

Anders der Soziologe Jens Alber, der kürzlich in der FAZ vorgeführt hat, was Kulturrelativismus bedeutet. Er vertrat dort die These, dass man in beiden Religionen, im Christentum wie im Islam, ähnlich atavistische Forderungen finden könne. Die Aufforderungen zum Glaubenskrieg im Koran ließen sich unterschiedlich interpretieren, sie entsprächen jedoch ganz ähnlichen in der Bibel. Die Stellen, die er aus den Büchern Moses anführt, sind jedoch nichts anderes als die mythologische Überhöhung jenes göttlichen Beistandes, der es – jüdischer Überzeugung zufolge – dem Volk Israels in einer konkreten Situation ermöglicht hat, den eigenen Monotheismus gegen feindliche Polytheismen zu verteidigen.

Die von Alber angeführten Aufrufe zur Vernichtung des Feindes stammen aus dem Alten Testament und sind vom Christentum niemals als religiöse Botschaft verstanden worden. Niemals gab es unter Christen die Vorstellung, die Ermordung von Andersgläubigen sei göttlicher Auftrag. Und wenn man die Exzesse der Konquistadoren dagegen hält, so gibt es keinen Zweifel daran, dass sie der christlichen Lehre zutiefst widersprechen. Die Christen selbst haben daran keinen Zweifel gelassen, und die Entgleisungen der Missionierungskriege haben eine harsche innerchristliche Kritik erfahren. Berühmtes Beispiel ist der Bischof Las Casas, der seine Stimme gegen den Völkermord an den Indios erhoben hat (Mitte des 16. Jahrhunderts).

Für die Kulturrelativisten ist der Islam ein kaum geringeres Übel als das Christentum. Dieses kennen sie, jenen kaum. Deshalb schien ihnen eine Weile lang die muslimische Einwanderung nach Westeuropa als belebendes, die hiesigen Verhältnisse angenehm aufmischendes Element. Multikulturelle Welt! Endlich Schluss mit dem dumpfen Teutonentum! Dass dies ein Irrtum war, dringt allmählich sogar in die Köpfe der Ideologen.

Der Kulturkonservative nun würde seine Position in folgenden Punkten zusammenfassen: Die Karikaturen von Charlie Hebdo sind keine Meisterleistung der Zeichenkunst, und wenn die wahrhaft dummen Islamisten nicht darauf aufmerksam gemacht hätten, wären sie so unbekannt geblieben wie zuvor. Im Augenblick des Terrors jedoch müssen und wollen wir alle auf der Seite der Meinungsfreiheit stehen. Der Kulturkonservative jedoch würde zu bedenken geben, dass in jeder Religion das Heilige Vorrang hat. Das Heilige muss geschützt werden, zum Wohl aller. Mord jedoch ist das alleruntauglichste Mittel.

Der Versuch, das Problem dadurch zu entschärfen, dass man Blasphemien verbietet, führt auch deshalb nicht weiter, weil für Islamisten jeder Vorwand dazu taugt, die Idee allgemeiner Menschenrechte zu torpedieren. Deshalb ist Appeasement zum Scheitern verurteilt. Entweder wir berufen uns auf unser Herkommen, unsere Tradition (die, ob man will oder nicht, abendländisch ist, also christlich geprägt), oder wir folgen einem Kulturrelativismus, dessen einziges Credo jenes gesinnungslose Anpassungsdenken ist, das wir wir von einem global agierenden Kapitalismus kennen. Es wird uns nicht retten.

Die Vorstellung, die monotheistischen Religionen seien einander im Wesentlichen ähnlich, es empfehle sich also, von beiden Missgeburten Abstand zu halten, führt in die Irre. Es ist kein geringer Unterschied, dass die eine Religion von einem gekreuzigten Wanderprediger gegründet wurde und die andere von einem kriegsführenden Feldherrn.

Benedikt XVI. hat in einer Regensburger Rede (2006) auf den engen Zusammenhang von griechischer Philosophie und christlichem Glauben aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, „dass das Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden hat. Wir können auch umgekehrt sagen: Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann.“

 

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